Im Rahmen unseres Projekts „Gemeingut statt Leerstand“ waren wir von August bis Oktober 2021 an zwölf Orten spekulativen Leerstand in Berlin unterwegs. Ziel war, auf das Problem des Leerstands aufmerksam zu machen und mit den Menschen der Stadt ins Gespräch kommen, um aus ihren Erfahrungen für eine solidarische Stadtentwicklung und die Zukunft der Stiftung zu lernen.
PDF herunterladenDas Projekt Gemeingut statt Leerstand wurde gefördert durch:
Das Projekt „Gemeingut statt Leerstand“ setzte an der Berliner Leerstandsproblematik an und fragte nach Alternativen. Bei spekulativem Leerstand bleibt die Immobilie ungenutzt, weil es lukrativer erscheint, sie leer stehen zu lassen, um sie ohne „wertmindernde“ Mieter:innen oder Nutzungen zum geeigneten Zeitpunkt teurer weiterzuverkaufen, abzureißen oder durch Neubau zu ersetzen. Hier wird für alle sichtbar, dass immer mehr Wohn- und Gewerbeimmobilien zu Spekulationsobjekten geworden sind. Gewinne werden bei diesen nicht mehr primär aus Mieteinkünften erzielt, sondern sind Folge steigender Immobilien- bzw. Bodenpreise. An zwölf Standorten leerstehender Häuser – je einem pro Berliner Bezirk – führten wir in Kooperation mit den Künstlerinnen Teresa Hoffmann und Lena Kocutar ortsspezifische Intervention durch und bauten für einen Tag eine mobile Soundinstallation auf, die zur Interaktion und zum Meinungsaustausch einlud. Wir kamen mit Anwohner:innen und Aktiven ins Gespräch, und fingen die vielfältigen Stimmen zum Thema Leerstand ein. Diese O-Töne wurden als Audios an den folgenden Orten über die Lautsprecher der Installation wiedergegeben. So entstand ein wachsendes, vielstimmiges Mosaik der Anwohner:innen von Leerstandsimmobilien aus allen zwölf Berliner Bezirken. Die Infos zu den zwölf Orten sowie eine Zusammenstellung der Stimmen vor Ort finden sich in untem stehenden Aufklappmenue. Die Transkriptionen der O-Töne sowie die Flyer, mit denen wir über die Leerstandsimmobilien informiert und zu den Aktionen eingeladen haben, lassen sich in der nebenstehenden Materialsammlung herunterladen. Der aus dem Projekt entstandene dokumentarische Kunstfilm „Am Bedarf vorbei“ von Teresa Hoffmann und Lena Kocutar ist oben anzuschauen. Für mehr Infos zu den einzelnen Orten und um die Audios anzuhören bitte die jeweiligen Zeilen klicken!1/12 Steglitz-Zehlendorf / Ehemaliges Schwesternwohnheim
Besonderheit: Standhafte Mieter:innen kämpfen mit Unterstützung der Initiative „MieterInnen Südwest“ gegen den Abriss und für bezahlbares Wohnen in Dahlem.
Im Wohnhaus in der Waltraudstraße 45, das 1968 als Schwesternwohnheim erbaut und 2008 durch den Berliner Liegenschaftsfond an einen Investor veräußert wurde, stehen die meisten Wohnungen leer. Seit einem Brand 2016 ziehen viele Mieter:innen aus. Freiwerdende Wohnungen bleiben trotz Wohnungsknappheit und begehrter Lage im Grünen unvermietet. Verbleibende Mieter:innen berichten von belastenden Mietverhältnissen: defekten Heizungen, Schimmelbefall, Strom- und Wasserausfällen. Parallel stellte der Eigentümer einen Antrag auf Abriss und Neubau, dem aufgrund der Lage im Landschaftsschutzgebiet jedoch nicht stattgegeben wurde. Die Mieter:innen können so vorerst in ihren Wohnungen bleiben.
2/12 Lichtenberg / Ehemaliges Arbeiterwohnheim
Besonderheit: Die Entwicklung des Gebäudes ist aufgrund von bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Erschließungs-, Abstandsflächen- und Brandschutzproblemen schwierig.
Das ehemalige Arbeiterwohnheim in der Bornitzstraße 104 ist Teil eines Ensembles bestehend aus zwei Sechsgeschossern zu beiden Seiten eines Flachbaus. Das in den 1970er Jahren errichtete Gebäude steht seit vielen Jahren leer und ist mittlerweile stark sanierungsbedürftig. Das Gebäude befindet sich in einem Gewerbegebiet, in unmittelbarer Nähe zu Unterkünften für Geflüchtete und Obdachlose. Nach provisorischen Zwischen-nutzungen und einer im frühen Stadium abgebrochenen Sanierung war für den April 2020 ein Zwangsversteigerungstermin angesetzt, der jedoch (wahrscheinlich aufgrund der Coronapandemie) abgesagt wurde. Die weitere Zukunft des Gebäudes ist offen.
3/12 Charlottenburg-Wilmersdorf / Leerstehendes Wohnhaus
Besonderheit: Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat derzeit die höchste Verkaufs-quote an Wohnungen in ganz Berlin.
Das sechsgeschossige Wohnhaus in der Kantstraße 49, einer belebten Einkaufsstraße in guter Lage, bietet Platz für zwei Gewerbeeinheiten und ca. 15 Wohnungen. Das Gebäude steht seit mindestens sechs Jahren leer. Über die Geschichte des Leerstands oder die Absichten des Eigentümers ist wenig bekannt. Doch aus Anfragen der Links-partei ergibt sich ein Bild: Es gab einen Antrag auf Abriss, der 2018 genehmigt wurde, dann passierte jedoch nichts. Ein eingeleitetes Amtsverfahren des Bezirks, damit die Wohnungen wieder vermietet würden, verlief im Leeren. Nach einem Eigentümerwechsel wurde ein neuer Antrag auf Abriss gestellt und Anfang 2020 ein Neubauvorhaben angemeldet. An der Situation vor Ort hat sich bis heute nichts geändert.
4/12 Pankow / Leerstehendes Wohnhaus
Besonderheit: Die lokale Nachbarschaftsinitiative drängt den Bezirk Pankow, gegen Eigentümer und Leerstand vorzugehen.
Die Raumerstraße 33 steht seit Jahrzehnten zu großen Teilen leer: Bereits 1995 soll es eine kurzzeitige Besetzung gegeben haben. 2003 verhängte der Bezirk Zwangsgelder wegen Teilleerstand. Seit 2016 wird versucht, über das Zweckentfremdungsverbot gegen den Leerstand vorzugehen. Bislang jedoch mit wenig Erfolg. Zunächst war der Eigentümer, der selbst im Haus gemeldet ist, nicht auffindbar. Als Zwangsgelder an-gedroht wurden, legte er Widerspruch ein. 2018 forderte die BVV, das Wohnhaus zu beschlagnahmen und treuhänderisch verwalten zu lassen. Der Eigentümer bestreitet den Leerstand, das Widerspruchsverfahren dauert an. Noch sind unter der Adresse vier Menschen gemeldet. Ob von diesen dort jemand tatsächlich wohnt, ist unklar.
5/12 Mitte / Papageienplatte: Wohnblock in Entmietung
Besonderheit:Der Widerstand der Mieterinitiative durchkreuzt die Pläne des Investors und macht das Gebäude zum Präzedenzfall im Kampf für leistbaren Wohnraum.
Die fünf Wohnhäuser wurden 1984 für Mitarbeitende der Charité errichtet. 2006 werden sie vom Land Berlin für zwei Mio. Euro an Privatinvestoren verkauft und von diesen gut zehn Jahre später für das Zehnfache an die Arcadia Estates Firmengruppe. 2018 gibt es bereits eklatanten Leerstand. Der Eigentümer stellt einen Antrag auf Abriss, den der Bezirk durch den Widerstand der verbliebenen Mieter:innen nicht genehmigt. 2020 wird das Gebäude kurzzeitig von Aktivist:innen und Obdachlosen besetzt. Ein durch das Verwaltungsgericht angeregter Vergleich zwischen Investor und Bezirk, der einen Abriss und Neubau ermöglichen soll, wird vom Bezirk abgelehnt. Die Auseinandersetzung über stadtpolitische Prioritäten wird fortgesetzt.
6/12 Neukölln / Ehemaliges C&A Kaufhaus
Besonderheit: Seit 2011 Teil des Sanierungsgebiets Karl-Marx-Straße/Sonnenallee, wodurch der Bezirk Steuerungsmöglichkeiten bei der Entwicklung des Gebäudes erhält.
Das fünfstöckige Gebäude wurde 1953 vom Bekleidungskonzern C&A als Kaufhaus erbaut. 2012 wurde es geschlossen, als die Neuköllner C&A Filiale in die neue Shopping Mall gegenüber zog. Gut drei Jahre stand das Gebäude zunächst leer und wurde im Oktober 2015 von einem Investor gekauft. 2015 bis 2018 pachtete das Land Berlin das ehemalige Kaufhaus für die Unterbringung ca. 600 Geflüchteter. Seitdem steht es wie-der leer, nur die Eingänge dienen Wohnungslosen als Obdach. Viel ist über die Nutzungs-pläne des Eigentümers nicht bekannt, Abriss und Neubau sowie eine Büronutzung sind im Gespräch. Die Initiative NION, eine Gruppe „Kreativer aus der Musik-, Kunst-, Tech- und Stadtentwicklungsszene“, ist an einer Nutzung des Gebäudes interessiert.
7/12 Tempelhof-Schöneberg / Geisterhaus Friedenau
Besonderheit:Die Nachbarschaftsinitiative Friedenau sorgt seit 2016 dafür, dass ganz Berlin den leerstehenden Altbau kennt, und treibt die Politik zum Handeln.
Der Leerstand des Jugendstilbaus ist berlinweit bekannt. Immer wieder versuchte der Bezirk, auf die Eigentümerin einzuwirken – schlug den Verkauf des Hauses an eine landeseigene Wohnungsgesellschaft vor, verhängte Bußgelder oder drohte mit Zwangs-versteigerung. Seit 2019 steht zudem die Stiftung trias als mögliche Treuhänderin bereit. Stets reagierte die Eigentümerin im letzten Moment: beglich Schulden oder schaltete einen Anwalt ein. Dieser erklärte, ein Erhalt des Gebäudes sei unwirtschaftlich und es handele sich somit nicht um schutzwürdigen Wohnraum – eine Aussage, die nun gutachterlich geprüft wird. Die Nachbarschaftsinitiative kämpft weiter und repariert auch mal die Fenster, um den Regen draußen zu halten.
8/12 Reinickendorf / Ehemaliges Restaurant Entenkeller
Besonderheit: Ausflugslokal, Restaurant, Hotel, Pizzeria, Bar, Diskothek oder Kneipe – der prominente Bau im Norden Berlins hatte schon viel zu bieten.
Der 1926 in der Gartenstadt Frohnau errichtete Entenkeller war ein beliebtes Ausflugs-lokal und viele Jahre für lange Tanznächte und gute Gerichte berühmt. 2006 wurde der Betrieb jedoch eingestellt. 2013 wurde die Immobilie zwangsversteigert. Der neue Eigentümer plante einen Umbau mit Restaurant im Erdgeschoss und Wohnungen darüber. Drei Jahre später begannen erste Bauarbeiten. 2017 wurde ein Bauantrag gestellt, der eine Eröffnung der Gastronomie zum Ende des Jahres vorsah. Die Unterlagen blieben jedoch unvollständig und es wurde keine Genehmigung erteilt. Im Oktober 2020 berichtet der RBB von erneuten Verkaufsgesprächen. Zwei Monate später von einem Brand im Dachstuhl des Gebäudes. Seitdem ist es wieder ruhig um den Entenkeller.
9/12 Treptow-Köpenick / Wohnhaus in Entmietung
Besonderheit: Das Firmengeflecht der Padovicz-Gruppe ist berlinweit für strikte Entmietungsstrategien, Immobilienspekulation und Verschleppungstaktiken bekannt.
Das fünfgeschossige Wohnhaus in Alt-Treptow steht seit sechs Jahren fast vollständig leer. Es befindet sich in einem schlechten Zustand. Mieter:innen berichten über Schimmel-befall. 2017 kündigte der Eigentümer Modernisierungsmaßnahmen an. 2018 zog die vorletzte Mietpartei nach langem Rechtsstreit aus. Passiert ist bisher nichts. Anwohner:innen wandten sich wiederholt an den Bezirk, um auf den Leerstand aufmerksam zu machen. Dieser zeigt sich jedoch geduldig: Der Eigentümer stelle immer wieder unvollständige Bauanträge, die wegen fehlender Unterlagen nicht genehmigungsfähig seien. Ohne Baugenehmigungen, könne der Bauherr jedoch nicht sanieren, weshalb die Genehmigung für den Leerstand verlängert werden müsste…
10/12 Marzahn-Hellersdorf / Einkaufscenter in Entmietung
Besonderheit:Das Projekt BENN Blumberger Damm im Einkaufscenter Carrée Marzahn unterstützt Anwohner:innen dabei, sich in die Gestaltung ihrer Nachbarschaft einzubringen.
Das zu 90 % leerstehende Einkaufscenter Carrée Marzahn bot viele Jahre über 30 Fachgeschäften Platz für Verkauf und Gewerbe. Im Frühjahr 2020 wurde es für 17,6 Mio. Euro an einen Anbieter aus Luxemburg verkauft. Im August 2020 erteilte das Bezirksamt dem neuen Eigentümer einen positiven Bauvorbescheid für den Abriss des Einkaufscenters und die Errichtung eines zehngeschossigen Neubaus mit 350 Wohnungen und Gewerbe im Erdgeschoss. Aktuell sind nur noch drei Läden vermietet: eine Post, ein Nachbarschafts- und ein Geschenkartikelladen. Ihre Mietverträge wurden zu Ende des Jahres gekündigt. Bislang wurde noch kein Bauantrag gestellt. Wann mit Abriss und Neubau begonnen wird, ist derzeit offen.
11/12 Spandau / Stillgelegte Siemensbahn
Besonderheit: Der Verfall der Siemensbahn ist Ausdruck von Desinvestition und zeigt das Auf und Ab einer Public Private Partnership.
Die Siemensbahn wurde 1927-1929 von der Firma Siemens & Halske erbaut, um einen schnellen Anschluss an die Firmenwerke zu gewährleisten. Sie verlief mit zwei Zwischen-stopps zwischen den S-Bahnhöfen Jungfernheide und Gartenfeld. Nach dem Mauerbau wurde die Strecke (wie das gesamte West-Berliner S-Bahn-Netz) von der DDR-Staats-bahn betrieben. 1980 wurde die Siemensbahn im Zuge des Eisenbahnerstreiks stillgelegt. Seitdem verwildert die Strecke und die Bahnhofsgebäude stehen leer. Der Bahnhof Wernerwerk verfügte über eine kleine Bierstube und Ladenflächen. Seit die Siemens AG 2018 plant, einen Forschungscampus in der Gegend zu errichten, verspricht der Senat, die Strecke zu reaktivieren und ggf. zu erweitern.
12/12 Friedrichshain-Kreuzberg / Wohnhaus in Entmietung
Besonderheit: Drei Mietparteien wehrten sich bis zuletzt gegen die Entmietung. Nun wurden ihnen Umsetzwohnungen und der Wiedereinzug nach zwei Jahren zugesichert.
Der ausladende Altbau mit Vorderhaus, Seitenhaus und Hinterhaus steht fast vollständig leer. Die verbliebenen Mieter:innen berichten, dass der Eigentümer vor über zehn Jahren begann, frei werdende Wohnungen zu entkernen und nicht mehr zu vermieten. Vor ca. vier Jahren folgte eine systematische Entmietung: Schäden am Dach, die schwere Wasserschäden zur Folge hatten, wurden mit Bezugnahme auf einen geplanten Dach-geschossausbau nicht repariert. Zudem wurde mit Abfindungen für den Auszug geworben. Dem Bezirksamt ist ein umfassender Leerstand seit 2014 bekannt. Der Eigentümer stellte immer wieder erfolgreich Sanierungsanträge, setzte diese aber nicht um. So blieb der Leerstand genehmigt. Inzwischen haben die Sanierungsarbeiten begonnen.
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