Was verbindet eine Diskussion um Nachbarschaftsarbeit, die Konzeption eines Basisgremiums und die Auseinandersetzung mit Finanzierungsmodellen für den Bodenerwerb? Alles drei sind Themen, die für den weiteren Aufbau der Stadtbodenstiftung zentrale Bausteine bilden.
Im November und Dezember 2021 fand unsere dreiteilige Workshopreihe statt: der erste Workshop zum Thema Nachbarschafsarbeit und Community Organizing (19.11.2021), der zweite zu Konzeption und Aufbau des Stiftungskomitees (10.12.2021) und der dritte mit dem Titel Wege zum Boden – Finanzierungsmodelle und Kooperationen (14.12.2021).
Ziel der Workshops war die inhaltliche Auseinandersetzung mit den o.g. Themen anhand der Erfahrungen von Organisationen, die bereits Expertise im jeweiligen Bereich gewonnen haben, sowie die Übertragung dieser Erfahrungen auf die Praxis der Stadtbodenstiftung. Jeder Workshop setzte sich aus zwei Teilen zusammen: einem Input von geladenen Referent:innen mit anschließender Diskussion und einem Transferteil, bei welchem, wenn möglich, bereits entsprechende Handlungsstrategien für die weitere Stiftungsarbeit entwickelt werden sollten.
Über den ersten Workshop informieren wir hier in Teil 1 des Berichts. Teil 2 gibt Einblicke in den zweiten und dritten Workshop.
Der erste Workshop: Nachbarschaftsarbeit und Community Organizing
Die Begriffe Nachbarschaftsarbeit und Community Organizing sind vielschichtige Konzepte, die in verschiedenen Kontexten Anwendung finden: in sozialen Bewegungen und Nachbarschaftsinitiativen, in politischen Kampagnen, aber auch in sozialstaatlichen Einrichtungen. Je nach Kontext verweisen sie auf ganz unterschiedliche Vorstellungen, wie sich Gesellschaft verändern kann und verfolgen dementsprechend verschiedene Zielsetzungen.
Anhand zweier Praxisbeispiele haben wir uns im ersten Workshop der Frage genähert, wie das Verhältnis der Stadtbodenstiftung zur Nachbarschaft aussehen kann. Denn auch wenn der Fokus auf Nachbarschaften (oder „Community“) ein zentraler Baustein für unsere neu gegründete, am Community Land Trusts Modell orientierte Stadtbodenstiftung ist, bleibt die Frage, wer „die Community“ oder „die Nachbarschaft“ ist und wie diese in die Stiftung und ihre Projekte eingebunden werden oder Impulse geben kann, bislang noch weitgehend unbeantwortet.
Transformatives Organizing
Der erste Referent Georgios Thodos, der u.a. in der Starthilfe AG der Volksentscheidkampagne „Deutsche Wohnen und Co Enteignen!“ aktiv ist, gab einen Input zur Praxis des Community Organizings von Mieter:innen. Er erläuterte sein Verständnis von transformatorischem Organizing, indem er es gegenüber anderen Ansätzen abgrenzte: Während Nachbarschaftsarbeit vor allem auf die direkte Verbesserung des Wohnumfeldes ausgerichtet ist, z.B. durch die Gestaltung von Räumen, die Veranstaltung von Festen oder nachbarschaftlichen Angeboten, zielt politisches Organizing auf strukturelle Veränderungen und fokussiert stärker die Art und Weise, wie man diese erreichen. im Vordergrund steht das Ziel der Selbstermächtigung und die Frage, wie konkrete politische Anliegen durchsetzbar werden und langfristig gesellschaftliche Verhältnisse verändert werden können.
Besonders interessant für die zukünftige Arbeit der Stadtbodenstiftung war dabei Georgios Vorstellung erprobter Organizing Methoden. Als zentrales Element hob er die persönliche Ansprache von Menschen in den jeweiligen Nachbarschaften hervor. Diese direkte Ansprache ist nicht nur verbindlicher, sondern führt auch zu einer anderen Reichweite als eine bloße Information oder Einladung durch Aushänge oder Flyer. Letztere überlassen es stärker der Person selbst, sich angesprochen zu fühlen und produzieren so einen Selbstselektionsmodus, durch den gerade diejenigen, die zuvor noch nicht in einer Initiative aktiv waren, häufig nicht erreicht werden.
Allerdings gilt es auch die Voraussetzungen für erfolgreiches Organizing zu beachten. Haustürgespräche, persönliches Kontakthalten und wiederkehrende Schulungen erfordern ausreichend personelle Ressourcen. Ebenfalls wichtig ist es, die Erfolgsaussichten des Organizing realistisch einzuschätzen, um Frustration zu vermeiden. Auch wenn die Ressourcen der Stadtbodenstiftung für umfangreiches Community Organizing vor allem in den ersten Jahren nicht ausreichen werden, lässt sich die direkte Ansprache als Mobilisierungsmethode leicht und effektreich auf die Praxis der Stadtbodenstiftung übertragen.
Projektbezogene Nachbarschaftsarbeit
Der zweite Input von Monika Adams, Geschäftsführerin der Urbanen Nachbarschaft Samtwebererei gGmbH, lieferte uns einen Einblick in ein schon viele Jahre erfolgreiches Projekt, das sich nach der oben skizzierten Unterscheidung eher dem Ansatz lokaler Nachbarschaftsarbeit zuordnen lässt.
Die Alte Samtweberei ist ein umgenutzter Gebäudekomplex in Krefeld, der seit 2013 Platz für Wohn- und Büroflächen bietet. Das von der Montag Stiftung Urbane Räume initiierte Projekt erwarb das Grundstück von der Stadt im Erbbaurecht für einen symbolischen Euro. Im Erbbaurechtsvertrag ist u.a. festgeschrieben, dass der Erbbauzins von 34.000 Euro im Jahr erlassen wird, solange die gGmbH Investitionen in mindestens gleicher Höhe in die Stadtteilarbeit tätigt und somit Geld in soziale oder kulturelle Projekte im Kiez fließt.
Darüber hinaus sind die Mieter:innen der Alten Samtweberei, egal ob gewerblich oder privat, gehalten, jährlich pro Quadratmeter gemieteter Fläche eine Viertelstunde ehrenamtlicher Arbeit zu leisten, d.h. dem Viertel ihre Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen oder eigene Angebote für die Nachbarschaft zu initiieren. Diese „Viertel“-Stunden gelten steuerrechtlich bei den Gewerbemieter:innen als Tauschgeschäft. Sie werden mit 30 Euro berechnet und über die Nebenkostenabrechnung abgerechnet.
Diese vielschichtige strukturelle Verankerung von Nachbarschaftsarbeit – sowohl im Erbbaurechtsvertrag mit der Stadt als auch in den Gewerbemietverträgen – ist für uns als Stadtbodenstiftung von großem Interesse. Die Samtweberei ist ein inspirierendes Beispiel, wie die Nachbarschaftsarbeit gegebenenfalls auch in Projekten der Stadtbodenstiftung langfristig verankert werden könnte. Eine Schwierigkeit in der Übertragbarkeit ist jedoch, dass die Stadtbodenstiftung nicht über die finanziell günstige Ausgangslage verfügt, um den Projekten den Erbbauzins vollständig zu erlassen, wenn diese stattdessen ihre Überschüsse in nachbarschaftliche Projekte investieren. Eine Reduzierung des Erbbauzinses hingegen wäre durchaus denkbar. Weiterhin findet Nachbarschaftsarbeit in Berlin derzeit im Kontext steigender Bodenpreise und rasanter Gentrifizierung statt. Nachbarschaftliche Aufwertung geht somit schnell mit Verdrängung einher und muss sich aktiv damit auseinandersetzen, welche gegebenenfalls ungewollten Effekte gut gemeinte Angebote an den Kiez haben könnten.
In der abschließenden Diskussion über das Verhältnis der Stadtbodenstiftung zur Nachbarschaft kristallisierten sich zwei Ebenen heraus, auf denen die Stadtbodenstiftung offen für Nachbarschaften ist: die lokale Ebene der einzelnen Projekte und die strukturelle Ebene der Teilhabe in der Organisationsstruktur der Stadtbodenstiftung, beispielsweise im Stiftungskomitee. Während im ersten Fall die Samtweberei Vorbildfunktion haben kann, sind im zweiten Fall vor allem die Ansprachemöglichkeiten von Community Organizing von Interesse, um die Stiftung in den Kiezen bekannter zu machen und Menschen zum Mitgestalten einzuladen.